Senslerdeutsche Sprüche, Redewendungen, Begriffe, Worte,... Monatlich erklärt von Christian Schmutz; Dialektologe, Co-Autor des Senslerdeutschen Wörterbuchs, Schnabelweidredaktor
April 2021 Pittela, Pitteli Auf Ostern hin zeigt das Naturhistorische Museum traditionellerweise Pyttelini, also «Kücken». Mit dem Wort Pitteli outen Sie sich als Senslerin oder Sensler. Eine Jauner Pytta «Huhn», Sensler Pyttela und eben die Verkleinerungsform Pytteli finden sich auch im ersten Patois-Wörterbuch 1866 (pietta ist dort «weiblicher Wasservogel») und pitta «Huhn» gab es laut Jauner Grammatik vor über 100 Jahren auch im welschen Rossinières. Mir springen die vielen Begriffe ins Auge, mit denen Haustiere hergerufen werden. Diese zur jeweiligen Tierart passenden, «lautmalenden Lockrufe» werden dann fürs Tier selbst gebraucht – vor allem von und mit kleinen Kindern: Hùùpela, Ggoggooli, Pyttela, Purita, Gusla, Bääggù etc. funktionieren meist sprachübergreifend. Die Herkunft der Begriffe dürfte gerade für freiburgisch spezielle Tiernamen in den alten Patois liegen.
März 2021 Kein Ärger mit Ärgera Nach dem Namen Sense (10/2020) folgt jetzt die Ärgera oder la Gérine. Auch wenn die beiden völlig unterschiedlich tönen und aussehen: Ärgera und Gérine gehen auf die gleiche Wurzel zurück. Der romanische Namenkundler Henry Suter geht von einem alten gallischen Urwort jurona aus, einer Ableitung von jor, juris «bewaldete Höhe». Eine Gérine gibt es auch als Saanezufluss in Château-d'Oex, im Jahr 1341 Jurignioz geschrieben. Unser Freiburger Fluss wurde 1314 als Argerona überliefert. Die Namenforscher glauben, dass dabei dem angesprochenen jurona die gallische Vorsilbe are- «vor, bei» angehängt wurde, also etwa «vor den bewaldeten Höhen». Übrigens hat der Gifferser Sagensammler Pater Niklaus Bongard auch unter dem Pseudonym «Gérinius» publiziert – eine Latinisierung mit der Bedeutung «der von der Ärgera».
Februar 2021 asch baud uus! Eine Frau hat mir erzählt, dass Auswärtige den Sensler Ausspruch asch baud uus! nicht verstünden. Das Idiotikon stellt dieses uus syy zu einer Unterbedeutung «bekannt, ruchbar, entdeckt, z.B. von einem Betrug»: as chùnt uus, as isch uus. Im Solothurnischen habe es geheissen: was mee als eine weiss, isch gly uus. Dieses uus-choo «entdecken, auf die Schliche kommen» wurde zumindest im Senseland zu einer festen Wendung, zu einem «Ausruf der Überlegenheit», wie das Sensler Wörterbuch schreibt. Man könnte es umschreiben mit «das hätte man ja kommen sehen können; selber tschuld; logo, dänk!». Schön ist auch der Begriff chasch der sǜne!, der bei uns ebenso geläufig und bei anderen ebenso fragwürdig ist. sǜne «sinnen» hat da noch die alte Bedeutung «denken» (kannst denken!), ist aber überraschenderweise reflexiv gebraucht: «du kannst dir sinnen». Ja, o daas isch baud uus, gau!
Januar 2021 Ggùggelistùùrz Eines der wenigen Nur-Sensler-Wörter ist Ggùggelistùùrz für "Purzelbaum". Voller Überraschungen ist seine Herkunft: Wir müssen von der Tätigkeit stützen ausgehen, was im älteren Schweizerdeutsch "in die Höhe strecken" bedeutete. Sensler Ggùggeli (in Jaun und Simmental Gùnggeli, im Berner Oberland Geigle, in Wallis/Graubünden Gyyge) war wohl Anlehnung an Gunggele "etwas Baumelndes" oder an Geigle "(entblösste) Beine". Die Sensler versuchten wohl früh eine volksetymologische Annäherung an Ggùggeli "das Ei". Dieses kam von Patois koko "Ei". Aber dieses Ggùggeli stǜtze wird seit Mitte des 20. Jahrhunderts im Senseland weiter verändert, wohl auch weil man die Bedeutung von stütze nicht mehr kannte. Über ds Ggùggeli stǜǜrze kam es zum Ggùggelistùùrz, den man tätigt. So hat zweimal ein Nichtmehrverstehen einer alten Bedeutung zu einem neuen, einzigartigen Wort geführt. Machen wir also einen Ggùggelistùùrz und "strecken die Beine in die Höhe" oder "stürzen das Ei" – egal. Einfach für ein besseres 2021.
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